"Ghosting" - vom spurlosen Abtauchen im digitalen Zeitalter

Ich bin zwar Psychologin, aber bis vor ein paar Monaten war mir “Ghosting” kein bekannter Begriff. “Ghosting” steht für plötzlichen Kontaktabbruch von emotional nahestehenden Menschen.

Plötzliches Verschwinden des Gegenübers

Das plötzliche Verschwinden, eine plötzliche “Funkstille,” obwohl davor reger, intensiver Austausch und Kontakt war, fühlt sich für das Gegenüber geisterhaft an. ich bin selbst mit dieser Art von Kontaktabbruch in Kontakt gekommen und war wie paralysiert und es war für mich total unverständlich. Im ersten Moment denkt man ja, es sei etwas schreckliches passiert. (ein Unfall, ein Überfall oder, oder, oder,…..)

Meine persönliche Erfahrung mit “Ghosting”

In meinem Fall lernte man sich kennen, mehrere Treffen mit gegenseitiger Begeisterung und auch intimen Austausch, haben wir beschlossen ein erstes Wochenende miteinander zu verbringen. Heute muss ich darüber lachen, aber damals war ich wie vor den Kopf gestossen.

Ab Freitag abend hatten wir einen netten Abend, haben gemeinsam gekocht und morgens ausgeschlafen. Plötzlich springt mein gegenüber auf und sagte “ich fahre nur schnell nach Hause noch ein paar Sachen holen für unseren Ausflug nachmittags” ich fragte noch: “ Ist etwas passiert.” “Nein, nein alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen, ich bin in 1 Stunde wieder da.”

Nach 1 1/2 Stunden wollte ich ihn anrufen, ich war blockiert worden, dann Whatsapp, ich sah kein Foto mehr, also auch blockiert. Das ganze Wochenende hörte ich nichts mehr, obwohl wir weder eine Auseinandersetzung hatten noch irgendetwas auf dieses Verhalten hinweisen hätte können.

Halb so schlimm, oder?

Nun wenn man das nun so liest, denken Sie sich sicher, dass das nichts Schlimmes ist. Aber doch! Ich habe sicher schon sehr viel Selbsterfahrung und auch Lebenserfahrungen hinter mir, aber das ist nochmals etwas ganz Besonderes.

Dieser plötzliche Kontaktabbruch, wenn ein Mensch wie ein Geist verschwindet, sich buchstäblich in Luft auflöst, obwohl vorher alles noch hochemotional positiv war. Ohne Erklärung, ist das wirklich keine schöne Erfahrung! Es kam auch später keine pausible und nachvollziehbare Erklärung dafür.

“Ghosting” Buch von Tina Soliman

Tina Soliman hat ein Buch darüber geschrieben, indem sie beschreibt, was in solchen Menschen vorgeht, die Ghosting betreiben. Wenn es keine wirklich pausible Erklärung für diesen Kontakabbruch gibt, kann es sein, dass Menschen nicht gelernt haben sich mitzuteilen, sich schwierigen Situationen zu stellen und eine Absage oder den anderen enttäuschen zu müssen, schon irrsinnigen Stress in der Person erzeugt. So ist es einfacher, einfach so zu verschwinden.

Der Begriff “Ghosting”

Der Begriff “Ghosting” kommt aus der USA und beschreibt das Phänomen, wenn sich Menschen, die man “datet”, mit denen man sich verbindet, befreundet oder gar verpartnert, in Luft aufzulösen scheinen. Im Wörterbuch wird “Ghosting” nach Collins als Phänomen des Beendens einer Beziehung durch plötzlichen Kontaktabbruch. Im Urban Dictionary wird “Ghosting” als “Akt der plötzlichen Aufhebung der Kommunikation mit jemandem” beschrieben. “In der Hoffnung, dass die Person realisiert, dass kein Kontakt mehr erwünscht ist, ohne es der Person mitteilen zu müssen.”

Somit steht “Ghosting” für “plötzlichen Abbruch ohne Erklärung.”

“Ghosting bezieht sich daher auf Paarbeziehungen und Freundschaften. bei der ersten Stresssituation zieht einer eilig weiter, auf der Suche nach etwas “Besserem”. Kein Blick zurück. Ghosting verhindert Beziehungen als Prozess zu verstehen. “Ghosting” unterbindet persönlich zu reifen und zu wachsen, denn Beziehungen verstärken die eigenen Schattenthemen.

Die Flucht nach vorne, die ständige Suche nach “Neuem” und “Besserem”

Die permanente Suche nach neuen Partnern ist häufig eher eine Ablenkung von der eigenen Beziehungsunfähigkeit. Das Verstehen von Beziehungen, um nachhaltige Bindungen überhaupt eingehen zu können, ist unendlich wichtiger als die ständige Suche nach “Neuem” oder “Besserem”.

Die große Frage, die wir uns stellen sollten. Wonach suchen wir eigentlich?

  • Liebe?

  • Bestätigung?

  • Trost?

  • Anerkennung?

Oder vermeiden wir damit nicht erst recht, uns selbst zu erkennen?

Viele Ängste verhindern sich auf eine Beziehung einzulassen

Sich nicht auf eine Beziehung einzulassen, kann mit den nachfolgenden Ängsten in Zusammenhang stehen.

  • Angst vor Nähe

  • Angst vor potentieller Abwertung und Widerspruch

  • Angst vor der falschen Entscheidung

  • Angst vor dem Verlust der Eigenständigkeit

  • Angst sich entscheiden und festlegen zu müssen

Dennoch ist der Wunsch nach einer Beziehung sehr groß!

Nahe Beziehungen sind sehr wichtig und werden von fast jedem ersehnt. Sich für jemanden zu entscheiden ist jedoch folgenreich und deswegen gibt es oft keine Entscheidung für einen Partner, sondern es werden welche nebenbei “warm gehalten”, sicher ist sicher!

Autonomie und Partnerschaft = grundlegende Bedürfnisse des Menschen

Autonomie und Partnerschaft sind grundlegende Bedürfnisse und beides zu erhalten ist ein möglicher Entwicklungsakt von zwei Menschen, die sich aufeinander einlassen. Partnerschaft bedeutet aneinander zu wachsen und zu reifen, anstatt beim ersten gemeinsamen Problem davonzulaufen oder sich anderwertig abzulenken. Dies ist auch eine Möglichkeit oder Variante, aber sollte genauso kommuniziert werden, sodass jede(r) Beteiligte sich bewusst dafür oder dagegen entscheiden kann.

“Ghosting” ist ein Phänomen des digitalen Zeitalters

Das sich ablenken und betrügen wird uns heute sehr leicht gemacht. Mit dem Smart Phone in der Tasche hat man ständig andere KonkurrentInnen noch an der Hand. Wenn die oder der eine nicht performed wie ich mir das vorstelle, steht eine andere Person schon in der Warteschleife und freut sich! So kann dieser “Geist” sofort immer mit neuen und anderen Menschen interagieren, sodass er oder sie sich mit dem oder der Verlassenen nicht mehr beschäftigen muss und einfach ignoriert.

Digitales Dating ein riesiges soziales Experiment

Digitales Dating hat akute Folgen auf das soziale Verhalten von Menschen mit Bindungsangst und Angst vor Kontrollverlust. Es verstärkt diese Ängste noch und bestätigt diese Menschen in ihrem handeln und tun. d.h. aus meiner Sicht wurde eine neue Schiene eröffnet sich mit seinen Ängsten nicht auseinader setzen zu müssen, sondern eher andere damit zu konfrontieren und vor den Kopf zu stossen. So geschieht eine Projektion auf das Gegenüber, sodass diese Ängste gar nicht mehr an die Oberfläche kommen können. Eine neue Vermeidungsstrategie ist geboren, sich mit sich selbst nicht auseinandersetzen zu müssen.

So sind dann eher die “Ghosting-Opfer” diejenigen, die an sich zweifeln eventuell etwas falsch gemacht zu haben.und psychologische Beratung in Anspruch nehmen müssen.

Mag. Ursula Fuhrmann

Dipl. Psychologin (Sozial- und Wirtschaft)

Lebens- und Sozialberaterin i. Ausbildung unter Supervision